Die schlimmsten Stunden sind in Dunkelheit getaucht

Mein Freund hat sich bei der Nachtschicht krank gemeldet.
Heute hätte er ganz allein im Lager arbeiten müssen, obwohl er erst seit 23 Tagen seine Ausbildung in diesem Betrieb macht und vorher noch nie in einem Lager gearbeitet hat.
Wer mir jetzt noch sagt, dass es normal für die erste Ausbildungszeit ist, den werde ich schallend auslachen, denn hätte er es machen müssen, wäre er Morgen gegen vier Uhr in der Frühe wiedergekommen, wenn überhaupt.
Einerseits finde ich es gut, dass er sich endlich zu wehren versucht und sich für mich entschieden hat, auch wenn diese Entscheidung erst  nach der schlimmsten Nächte meines Lebens gefällt wurde und es mich eine blutige Nase gekostet hatte.
Mir hat vorher noch nie einer eine Ohrfeige gegeben und schon gar keine bei der ich Nasenbluten bekommen habe. Dieses Gefühl ist beschämend und dreckig zu gleich. Natürlich war ich nicht ganz unbeteiligt, als er nicht mit mir diskutieren wollte, als er um halb eins nach Hause kam, boxte ich ihm zweimal in den Rücken, woraufhin er sich auf mich stürzte und niederdrücke, ich fühlte mich zerquetscht, fuchtelte rum, kniff, biss, kratzte - tat alles um daraus zu kommen, denn sein Gewicht tat mir unendlich weh. Er ließ ab, ich saß im dunkeln vor ihm und sagte ihm, dass ich es nicht mehr mitmachen werde, fuchtelte mit dem Finger und stupste seine Nase an, woraufhin er mir eine verpasste. Letzte Nacht war ich so geschockt, dass ich von den Schmerzen, welche mich heute im Kiefer- und Nasenbereich quälten, nichts mitbekam.
Danach weinte ich vor Trauer und Angst fast zwei Stunden durch, bis mein Freund mich beruhigte. Ich sagte ihm daraufhin klipp und klar, dass es entweder eine Lösung aufgrund der Nachtarbeit geben muss oder er während ich in der Schule bin seine Sachen packen soll und am Abend nach der Schicht zu seinen Eltern fahren solle, was für mich aber auch ein endgültiger Auszug wäre und für uns den Kontaktabbruch heißen würde.

Als er mich von der Schule abholte, sagte er mir nach kurzem Schweigen, dass ich ja heute Nacht schlafen könne und natürlich dachte ich daran, dass er alles beenden wollen würde. Irgendwie war ich total niedergeschlagen, aber erst einige Minuten später traute ich mich zu fragen weshalb und für was er sich entschieden habe. Glücklicherweise sagte er mir dann, dass er sich krank gemeldet habe, damit ich endlich wieder Schlaf bekomme und er nicht um unsere Beziehung fürchten muss.

Nun aber fürchte ich mich. Vor ihm. Aber auch nur ein bisschen. Immerhin sagt man ja, dass wenn ersteinmal die Hemmschwelle überschritten ist, man Ausrutscher, Fehler, wiederholt und es einem plötzlich unsagbar leicht fiele. Ich habe Angst, dass ihm das nach Gestern jetzt leichter fallen wird mir wehzutun.